Medienkritik: Ohne Gummi ’nen Fuffi extra!

Nicht das der Eindruck entstünde, es wird nix anderes mehr gelesen, aber bisweilen muss man sich überlegen, mit was man sich beschäftigen möchte und mit was nicht. So hat die FAZ einen ausgewiesenen Redakteuer, der sich mit Velos beschäftigt, bei der SZ macht man das mehr so querbeet und beim Spiegel lässt man darüber bloggen. Weil es wohl cool ist (aber das sagen die Jungen doch heutzutage gar nicht mehr! – egal).

Hier wird ja auch gebloggt, doch das ist nicht cool, sondern Selbstbeschäftigung und Narzissmuss und dazu kann und darf man stehen wie man will. Da das Velo eine Fortbewegung per Hilfsmittel darstellt, dreht sich hier und anderswo natürlich auch viel ums Material, das einen bewegt. Wobei: Die Breite der Angebote eines hochentwickelten Landes in Europa komplett zu würdigen ist praktisch unmöglich, man muss sich beschränken. Damit wäre genug gesagt, um einen Blogbeitrag von einem Spiegel-Kollegen nicht weiter beachten zu müssen. Trotzdem gibt es da etwas, das stört, das dazu etwas sagen will. Vielleicht liegt es an Sätzen wie diesem hier:

„Es ist schwierig, einen guten Reifen auf den ersten Blick von einem schlechten zu unterscheiden. Einen sicheren Hinweis gibt es: Der einfache [Schwalbe, Anm. d.A.] Marathon hatte ein ausgeprägtes Profil, der Supreme ein ganz feines. Lange Zeit dachte ich, ein tiefes Profil sei sicherer, vor allem bei Nässe. Mittlerweile weiß ich, dass das Quatsch ist. Aquaplaning gibt es bei Fahrrädern nicht.
Profilierte Reifen sind schwerer, sie rollen nicht so leicht ab und sie haben weniger Grip als Reifen mit feinem Profil oder so genannte Slicks, die völlig glatt sind. Das gilt für Asphalt und auf Schotterwegen durch Parkanlagen gleichermaßen. Also auf den Belägen, auf dem die Mehrzahl der Radler unterwegs ist.“

Das ist alles nicht gelogen. Deswegen ist es aber noch lange nicht richtig. Profil ist auf Straßen und befestigten Wegen wirklich wenig entscheidend, wenn aber selbst bei Autoreifen nach Profil gekauft wird (was nur bei Winterreifen einen Unterschied macht), warum sollten es VelofahrerInnen deswegen automatisch besser machen? (Der Mensch wird gut oder schlecht durch sein Tun oder Lassen? Kant meinte sicher nicht den Reifenkauf) Natürlich gibt es kein originäres Aquaplaning bei Veloreifen, dennoch weiß nahezu jedeR, der einmal auf wirklich nasser Straße ruckartig (not-) bremsen musste, dass das dennoch eine sehr rutschige Angelegenheit sein kann. Ob allerdings ein Reifen mit Profil immer schwerer ist oder sein muss, als ein Slick oder Semislick – das ist zumindest fraglich,  denn bei dieser Frage kommt es darauf an, was man womit vergleicht und wie die einzelnen Reifen insgesamt aufgebaut sind. Insgesamt bedeutet eben nicht, auf die „Thread per Inch“ zu schauen (TPI), die Anzahl der Fäden in der Karkasse, sondern zunächst einmal zu klären, wofür der Reifen eigentlich genutzt werden soll. Dass der Autor sich diese Frage anscheinend gar nicht gestellt hat, wird beim Lesen der nachfolgenden Abschnitte deutlich:

„Vor zweieinhalb Jahren dachte ich, ich hätte bei einem Amerika-Aufenthalt den perfekten Reifen entdeckt: Das Modell Stampede Pass der amerikanischen Firma Compass Cycles, das bei Panaracer in Japan gefertigt wird.

Die Fahrt mit den Compass Reifen war ein Traum. Butterweich und enorm schnell. Das war besser, als alles, was ich bis dahin gefahren bin.

Aber nach einem guten Jahr an meinem Alltagsrad, das ich oft auch mit schweren Packtaschen fahre, waren die Reifen hin. Die Seitenwände waren verschlissen. Da die Reifen bei günstigem Dollarkurs und ohne Zoll im Paar etwa 100 Euro Dollar gekostet hatten, habe ich mich nach Alternativen umgesehen.“

Lustigerweise wird am Ende des Textes doch noch auf die Zweckbestimmung abgehoben. „Ja was denn nun?!“ möchte man da zurückfragen. Natürlich spielt es beim Entwerfen der Reifen eine Rolle, wieviel Last diese später bei welchem Luftdruck auf welcher Felgen- und eigener Breite einmal tagtäglich zu tragen haben werden. Und es wäre ein Wunder der Physik wenn ein Reifen mit hoher Tragfähigkeit gleichzeitig weicher und schneller laufen könnte als ein Modell mit deutlich niedrigerer Tragfähigkeit. Dabei haben wir uns noch nicht über die verschiedenen Gummimischungen unterhalten, deren Festigkeit man per sog. Shore-Härte messen und bestimmen kann. Erst das Zusammenspiel von Karkasse, Gummi, ggf. Profil, Breite usw. macht den Reifen zu einem Problemlöser oder zu einem Problemverursacher.

Das alles ist aber für viele Alltagsradler total unwichtig, die wollen möglichst ohne Platten von A nach B kommen. Angesichts der täglichen Wege die hierzulande zurückgelegt werden, geht das praktisch gar nicht ohne durch mehr oder weniger große Glasscherbenfelder durchzuradeln. Ein Ritchey Tomslick ist ein wahnsinnig schneller Reifen, aber ich habe davon schon einen regelrecht zerfetzt nach lediglich 50 km Laufleistung und die restlichen 5 km durfte der Velocipist per Pedes nach Hause das Velo schieben. Da muss man also einen anderen Kompromiss finden, auf den der Spiegel-Kollege erst gar nicht eingehen will. Dafür gibt es dann noch einen tollen Schlußsatz:

„Ein dickes Profil braucht außer Mountainbike-Fahrern und Cyclocrossern niemand.“

Nunja, das darf man denken, sagen und schreiben. Was aber, lieber Kollege Neukirch, mache ich mit meinem Reiserandonneur, wenn ich in ein Land fahre, dessen generelle Wegebeschaffenheit mir unbekant ist? Zumal ich mit einem Systemgewicht um die 130 bis 140 kg unterwegs sein kann? Nehme ich dann die toll laufenden, butterweichen Reifen und tausche sie regelmäßig wegen platt gefahrener Seitenwände? Das ist doch Irrsinn und kompletter Nonsens, erst recht, wenn ich mich außerhalb der Versorgung großer Städte bewege und solche Reifen gar nicht erst bekomme. Natürlich greife ich bei so einer Tour zu einem Schwalbe Marathon Mondial mit Profil und 50 mm Breite. Der ist fühlbar schwerer und härter als der Supreme, schon richtig, aber auf einem nassen laubbdeckten Waldweg mit ein wenig Matsch bin ich sonst schon geliefert. Ein wenig mehr mitdenken, bevor man „Lösungen“ verbreitet ist vielleicht nützlich und natürlich darf man jeglicher Mode Folge leisten, dazu dann aber auch stehen (siehe auch: Radgrößen). Das Haltbarkeit eines Reifens auch am richtigen Luftdruck hängt und zwar ganz wesentlich, das wäre noch einen Satz wert gewesen. Holen wir hiermit nach, gern geschehen.

 

p.s.: Die dazu gestellte Fotostrecke sollte man einmal durchklicken. Und sich danach fragen: Cui bono?

2 Antworten zu “Medienkritik: Ohne Gummi ’nen Fuffi extra!

  1. So sind sie die Presseleute, hauptsache was geschrieben womit man potentielle Leserschaft bannen kann. Qualität ?

    • Bannt das wirklich Leserschaft? Ein Blog lebt ja von der Subjektivität und die wird hier scheinbar objektiviert und am Ende ist das Spiel leicht durchschaubar. Es macht eher den Eindruck, das da ein Verlag auf etwas aufspringen will, aber vielleicht nicht so recht kann.

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