Der Hase kommt auch nicht schneller an den Maitag als die Schnecke

Es stimmt ja meistens: Die Welt die uns umgibt ist fixiert auf das Auto, als wäre es eine Schlange und wir die Hasen. Trotzdem fahre ich im Frühling meistens kopfschüttelnd durch die Straßen, denn egal wo ich hinsehe ich sehe: Lemminge. Auf zwei Rädern. Echt jetzt! OK, Wikipedia meint, der Massenselbstmord der Lemminge sei bloß Legende, aber ich glaube, die ziehen einfach nach Süden, bis sie Rad fahren können und hier ankommen. Anders kann ich mir das Verhalten mancher Mitmenschen einfach nicht erklären, besonders im Frühling, zu Beginn der Saison.

Nicht das ich gleich ausrufen möchte „Die Welt ist schön, lasst sie so wie sie ist!“ Gerade in der Frage, wie wir unser mobiles Leben organiseren ist beileibe nicht alles gut, indem man den Autoverkehr versucht bevorzugt zu organisieren und den Rest mehr oder weniger sich selbst überlässt. Das ändert sich zwar, aber aus Sicht von zu Fuß gehenden wie radelnden Menschen ist da im Allgemeinen wie Besonderen zumeist noch ordentlich Luft nach oben. Kaum aber schickt die Sonne warme Strahlen zum Boden, erwärmt die Luft, erfreut die Sinne mit dem blauen Himmel, steigen ungeahnt viele Mitmenschen aufs Rad. Das ist toll, das ist löblich (gerade wenn man sich das zu Neujahr vorgenommen hat) und meistens freue ich mich darüber, denn es befördert die normative Kraft des Faktischen und das schadet Autofahrern keineswegs (mir ist deswegen noch kein Schädel-Hirn-Trauma bei den LenkerInnen bekannt geworden). Umgekehrt habe auch ich im Winter irgendwann keine Lust mehr und steige in den ÖPNV oder gehe zu Fuß oder nehme auch mal den PKW.

An dieser Stelle gehe ich mal davon aus, dass die meisten radelnden Mitmenschen irgendwann auch einmal AutofahrerInnnen sind und dann verstehe ich das nicht: Das notorische Überfahren roter Ampeln (Nein, keine Sinndiskussionen jetzt, Rot ist Rot!) und das notorische Ignorieren von toten Winkeln bei LKW und Bussen. Das sind meist die gleichen Personen, egal ob nun einer oder zehn auf einmal. Der sog. „tote Winkel“ ist der Bereich, der durch den Lenker weder direkt noch indirekt (Spiegel) eingesehen werden kann und gerade bei großen Fahrzeugen ist dieser Bereich sehr sehr groß. Natürlich kann man jetzt sagen „Die sollen Güter lieber mit der Bahn transportieren“, aber im Hier und Jetzt riskieren Menschen unnötig Leben und Gesundheit für (nicht einmal) ein paar Sekunden Zeitgewinn. Zur Verdeutlichung, wie groß der Bereich ist, von dem wir reden:

©http://www.toter-winkel.de

©http://www.toter-winkel.de

Das sieht ein Fahrer eines LKW von seiner rechten Seite, dort wo die meisten Radfahrer vorbeifahren, um zur Ampel vorzurücken oder rechts abzubiegen. Jetzt mal ein Bild, was der Fahrer nicht sieht, sehen kann:

©Lady_Amalthea

©Lady_Amalthea

Wohlgemerkt: Das alles sieht der Fahrer nicht, trotz dreier zusätzlicher Spiegel an der rechten Seite! Das heisst nichts anderes, als dass sich Menschen per Velo freiwillig in die „rote Zone“ begeben und die sprichwörtliche Gefahr für „Leib und Leben“ (mindestens) ignorieren. Kein Fahrer eines LKW kann beim rechts abbiegen irgendetwas tun, wenn ein Velofahrer meint, noch „mal eben geschwind“ an ihm rechts vorbei zu kommen, oder sich direkt vor ihm an die Ampel zu stellen. Das verstehe ich nicht! Der LKW an der roten Ampel braucht selbst vollbeladen nur ein paar Sekunden, bis er dran vorbei ist. Der objektive Zeitgewinn ist also vernachlässigbar. Ist es der Kitzel am Risiko? Dann unterschätze ich den Thrillfaktor gewaltig und muss eingestehen, dass sehr viel mehr Menschen bereit sind, ihr Leben wegzuwerfen für einen scheinbaren oder tatsächlichen Minimalvorteil. Das ist erst einmal nur eine Feststellung, kein Kulturpessimismus. Gelernt habe ich, wenn man dieser Selbtauskunft glauben darf, dass 16% aller Radler rote Ampeln missachten. Der Vergleichswert von Autofahrern fehlt mir zwar an dieser Stelle, bemerkenswert finde ich aber, dass mir diese 16% nahezu alle auf einmal zu Saisonbeginn begegnen.

Es soll auch an dieser Stelle nicht der Eindruck erweckt werden, dass die Benutzung eines Velos irgendwie gefährlich an sich ist, das ist es überhaupt nicht, auch wenn die vielfältigen polizeilichen Veröffentlichungen gerne den Eindruck erwecken mögen. Selbst in großen Städten ist ein unangeschnalltes Kind auf der Rückbank eines SUV mehr Verletzungsgefahren ausgesetzt als auf einem Velo. Da hilft kein Glaube an das „so sichere“ eigene KFZ, das ist ein populärer Irrtum überbegüterter Mittelschichtseltern. Gleichzeitig erlebe ich diesen krassen Gegensatz, sobald (dieselben) Mitmenschen sich im Frühling auf ein Velo setzen und fröhlich ignorieren, welchen Gefahren sie sich freiwilig selbst aussetzen.

Ist das nur bescheuert oder schon praktische Schizophrenie?